Kapitel 1

 Josephs erstes Leben vor dem Monstersein

Joseph Kelly

Ich weiß nur noch schwer, wie meine Familie aussah. Immerhin sind ja 300 Jahre vergangen und die Erinnerungen werden durch neuere Erinnerungen ausgetauscht. 

Im 18. Jahrhundert wurde ich als Sohn eines Fabrikanten und einer Schneiderin geboren. Dazu hatte ich eine kleine Schwester namens Magerit. Laut den alten Aufnahmen und Fotos war sie eine schöne Frau zu Lebzeiten und hatte zwei Kinder nach meinem Ableben bekommen. 

Die Nachfahren von den Kindern haben vor vier Jahren die Wohnung der Großmutter aufgelöst und alles verkauft was ging. Darunter waren sogar Möbel aus meiner Zeit. Die Kleiderschränke von meinen Eltern, von mir und Magerit mit Belegen aus der Zeit. Ich kaufte die alten Möbel und die Fotoalben bekam ich geschenkt, weil sie mit den Personen darin nichts anfangen konnten. 

Dank den alten Fotos konnte ich teilweise das Leben meiner Familie irgendwie gedanklich zusammenfassen. 

Zumindest waren meine Eltern nicht arm und nicht reich. Aber sie verdienten genug, dass ich auf die Uni konnte und Medizin studieren. Dort lernte ich meine späteren Freunde Jekyll Watson und Viktor Frankenstein kennen. Wir waren schnell Bros und machten alles zusammen. Waren sogar auf den Hochzeiten des anderen eingeladen. 

Zuerst heiratete Jekyll noch während der Uni, weil seine Partnerin ihn unsterblich liebte und er sie. 

Wenige Jahre später heiratete ich meine Jugendliebe Melanie, die Verkäuferin war. 

Aber Viktor machte mir Sorgen. Er war von Wiederbeleben besessen und machte komische Versuche im einen eigenen Labor im seinem Haus. Und er liebte unsterblich seine Cousine Morgan House. Morgan hingegen empfand ihn nur als guten Freund und Verwandten. Nicht als Geliebten. 

Er hielt bei seiner Tante um Morgans Hand an und diese willigte noch ein. Denn Viktor war reich, gutaussehend und gebildet. Er konnte eine Weile für sie Sorgen. Morgan und ich waren entsetzt darüber. Sie waren verwandt und so eine Hochzeit war illegal. Aber der Onkel beichtete, dass Morgan adoptiert sei, weil sie keine Kinder bekommen können. Mit dieser Wendung rechnete keiner und damit war die Ehe wieder legal, so lange es keine biologische Verwandtschaft gibt. 

Sie heirateten, aber es war von ihr aus keine Liebesheirat. Morgan war unglücklich in der Ehe und begann ihren Kummer mit Alkohol zu vergessen. Selbst als sie schwanger wurde. Während der Geburt lief alles schief. Morgan verblutete dabei und Viktor drehte komplett durch. Er fror die Leiche einfach ein und verheimlichte ihren Tod vor der Familie. Sein Kind landetete bei unserem kinderlosen Freund Jekyll, weil er sich selbst darum nicht kümmern konnte emotional.

In der Zeit war ich selbst Vater geworden und eigentlich glücklich. Dazu verdiente ich im Krankenhaus gut. Aber ich war selbst schwer krank geworden und konnte nicht mehr geheilt werden. Ich hatte bereits ein Testament gemacht und vererbte darin alles meiner Frau und Kind. 

Viktor wollte unbedingt nach meinem Tod mein Gehirn haben und ich willigte ein. Hätte ich es nie gemacht aus heutiger Sicht.

Wenige Monate später war ich verstorben. 

Dann wachte ich bei einem Unwetter wieder auf und Viktor sprang in die Luft.

"Er lebt. Ich habe es geschafft", schrie er.

Ich wollte antworten, aber es kam nur ein Krächzen raus. 

"Joseph, ich bringe dir alles wieder bei. Du wirst nie wieder der Mann von früher sein, aber ich werde für immer an deiner Seite bleiben", sagte er strahlend.

Mit schweren Beinen erhob ich mich vom Tisch und konnte mich anscheinend noch daran erinnern, wie man läuft. Auch wenn die ersten Schritte im neuen Körper wackelig waren. Ich schrie entsetzt auf, was eher einer sterbenden Krähe ähnelte vom Ton her. Im Spiegel war ein großes, hässliches Ding. Ich wollte weinen, aber mein neuer Körper konnte es nicht. Also zertrümmerte ich den Spiegel und packte grunzend Viktor an den Kragen.

"Du wirst dich schon daran gewöhnen, Joseph. Keine Sorge", sagte er abwehrend und ich setzte ihn gelähmt wieder ab. 

In den folgenden Wochen half ich ihm bei einigen Versuchen und meine Motorik kam zurück. Dazu langsam irgendeine Stimme und mein Wissen über den Haushalt. 

"Joseph, hole sie", sagte Viktor eines Tages.

Ich holte die Leiche von seiner toten Frau und legte sie auf dem Tisch, wo ich einst lag. Sie war entkleidet und so schön wie in den Lebzeiten. Ich bereitete alles für den Stromschlag vor und Viktor legte anschließend den Schalter um. Es blitzte und sah irgendwie fazinierend aus. Dann beendete er den Vorgang und ging zu seiner Morgan

Sie war wieder warm und hatte einen Herzschlag. Auf einmal machte sie die Augen auf und hob ihre Arme.

"Warum hast du mich nicht gehen lassen, Viktor? Ich war frei wie ein Vogel", weinte sie bitter.

Viktor sah entsetzt aus, als sie dies brüchig sagte. Dann stand sie auf und entdeckte mich. Sie sah entsetzt aus und rannte fort. Wir kamen nicht nach, so schnell war sie. Was aus ihr wurde weiß ich bis heute nicht. 

Dann kam wenige Monate später die Meute mit Fackeln und Gewehren. Oder Heugabeln. Wir mussten uns in der Windmühle verstecken, die Viktor als Stromversorgung für sein Labor benutzte. Dabei wurde ihm in den Rücken geschossen und er ging zu Boden. Ich trug seinen Leib in die Windmühle und schützte diesen mit meinem Körper. 

Am nächsten Morgen schauten mich leere Augen an, als ich wach wurde. Unter Viktor war Blut. 

"Du hast mir versprochen, immer an meiner Seite zu sein", weinte ich. 

Seit wann konnte ich weinen?

Ich beerdigte ihn und lebte nun in seinem leeren Haus. Keinem fiel es auf, bis irgendwann Jekyll vorbeikam. Er sah ein Licht in der Küche und kam rein. Ich erschrak und er auch.

"Du lebst, Joseph?!", schrie er erschrocken.

"Ja. Ich lebe. Viktor seit langer Zeit nicht mehr. Er hat sogar Morgan belebt, nachdem sie verstorben ist", erklärte ich trocken.

"Dann habe ich sie wirklich in der Stadt gesehen in den Armen eines Mannes. Mit Narben am Hals und nicht gealtert. Dabei dachte ich doch, sie sei Tod. Ich war damals doch der Arzt, der ihren Tod feststellte. Anscheinend habe ich einen Freund für immer verloren und der andere ist in einem Körper gefangen, der unsterblich ist. Lass mich dir helfen, alter Freund. Ich kann deinen Körper modifizieren. Damals habe ich Viktor geholfen, dich zu erschaffen. Also muss ich es doch auch hinbekommen, dass du normal aussiehst. Dazu suche ich ein großes Haus. Meine Frau und ich haben damals sein Kind adoptiert und erwarten jetzt zwei Kinder auf einmal. Dieses Haus wäre perfekt dafür. Nur den Keller müsste ich irgendwie vor den Kindern gut tarnen", schlug er vor.

Jekyll war älter und weiser. Ich willigte ein und dann begann eine schwere Zeit. Lange Zeit musste ich mit Verbänden rumlaufen und er schaute, wie man die Narben entfernt. Am Ende war ich sogar kleiner geworden und sah bis auf wenige Narben wieder normal aus. Ich war erstaunt über sein Talent als Chirurg. Ich wurde seine rechte Hand danach in seiner Praxis.

Den Keller verriegelte er von außen und stellte ein Regal davor, damit die Kinder nicht auf dumme Ideen kommen. Leider wurden die Kinder älter und die Balken fielen ab. Nach einem Erdbeben kippte das Regal um und die Kinder standen vor einer fremden Türe. 

Bei der Kontrolle war bis auf wenige Schäden zum Glück nichts passiert. Aber die Kinder waren nirgends zu finden. Wir suchten sie und fanden sie im Keller. Sie standen vor Viktors Maschinen und studierten die Schränke in Ruhe.

"Kinder, der Raum ist verboten", schimpfte Jekyll. 

Sie schauten unglücklich und wurden hochgeschickt.

"Wir müssen wohl anders den Raum versiegeln. Hol Mauerzeug und mauer die Türe zu. Nie mehr darf jemand diesen Raum betreten", sagte er und schaute mich an.

Wir beide hörten Geräusche und es wurde kalt in dem Raum. Die Kerzen erloschten und wir drehten uns um. Da stand Viktor und betete. Aber wir konnten nicht hören, was er wollte. Panisch wechselten wir einen Blick und rannten hoch. Dann packte uns eine kalte Hand und flüsterte:

"Bitte nicht. Tut es nicht. Mein Wissen darf nicht verloren gehen."

Dann war er wieder weg und wir mauerten noch schneller die Türe zu. 

20 Jahre später kam Viktors Sohn auf die Idee, den Geräuschen in den Wänden zu Folgen und stoppte vor einer neuartigen Mauer. Er riss sie ein, als keiner da war. Ich kam früher aus der Stadt und sah ihn mit einer Lampe in den Keller gehen. Schnell rannte ich hinterher und die Türe ging hinter mir zu. Und sie ließ sich nicht mehr öffnen. Es war so kalt und dunkel dort unten. Und unheimlich. Ich wusste, dass Viktors Geist hier unten gefangen ist und keine Ruhe findet. 

Unten näherte ich mich dem Licht und sah, dass der Strom lief. Aber woher kam dieser? Die Windmühle war kaputt. Vielleicht waren noch die alten Leitungen ja aktiv und hatten es gespeichert. Die alten Glühbirnen flackerten, aber funktionierten. Viktor und sein Sohn schienen stumm eine Kommunikation zu führen. Und beide waren Ebenbilder. 

Sie drehten sich um und Viktor umarmte mich.

"Du siehst gut aus", sagte er in seiner gewohnten Stimme von früher.

Ich versteifte, während er mich musterte und an meiner Kleidung zerrte, um die Narben zu finden. Wo keine mehr waren. Dann schwebte er zu seinem Schreibtisch und schrieb etwas auf. Sein Sohn wirkte verwirrt über sein Ebenbild in Tod. Und sein Sohn ist Internist wie Viktor geworden. 

"Wer ist es, Joseph?", fragte er zitternd.

"Dein Vater Viktor Frankenstein. Er verstarb jung bei einem Feuer und war auch Arzt", erklärte ich. 

Er atmete ein und aus und stellte viele Fragen. Jekyll kam dazu und erschrak. Beide Männer wären Zwillinge. Viktor wäre sicher im Alter auch noch hübsch, wie wir erkannten. 

Sein Sohn kam aufgeregt auf uns zu und berichtete, dass er teilweise die Versuche aus der Schule kennt. Mit Strom und den Chemikalien. Physik und Chemie hatten sogar im Jahr davor eine Neuauflage bekommen, als jemand anonym neue Abläufe und Entdeckungen mitgeteilt hatte. Könnte aber ein Geist sowas tun? 

Zumindest ging das Leben danach normal weiter, bis ich das Land verlassen musste. Ich erfuhr über Umwege, dass meine Frau neu geheiratet hatte und mit dem neuen Mann auch Kinder bekommen hat. Mein Kind habe ich nie aufwachsen sehen und das tut mir immer noch weh. Ich weiß nicht mal, wie meine Nachkommen aus dem ersten Leben aussehen heute.

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