Kapitel 1

 Neustart

Robin Maxime

Mein Leben war nie perfekt. Ich wuchs im goldenen Käfig auf und war immer von anderen Kindern isoliert. Als ich unerwartet ins Internat mit sechs Jahren musste, war ich dort sofort das Mobbingopfer. Die Leute machten sich immer über mich lustig, zerstörten sogar meine Schulsachen und gingen mich neben Sprüchen körperlich an. 

Irgendwann war mein Schmerzlevel nach drei Jahren so groß, dass ich ausflippte und mehrere Schüler ins Krankenhaus mussten. Da war ich neun Jahre alt. Sofort wechselte ich das Internat und meine Eltern glaubten mir nicht mal, dass ich gemobbt wurde. Mit etwas Bestechung konnten sie ihren Ruf wahren und waren beschämt über mein Verhalten. Als wäre ich ein Psycho. Ein hausgemachter Psycho. Mit ihrer Ablehnung und Abneigung kam ich eigentlich zurecht, aber dass sie mir nicht mal vertrauten tat mir noch mehr weh. 

Im nächsten Internat ging das Mobbing weiter. Wieder drei Jahre. Dann griff ich die Anführerin der Mobber an und diese behielt Narben im Gesicht. Leider konnte sie mit dem neuen Aussehen nicht mehr leben und beging Selbstmord. Ihre Eltern waren schockiert, weil ich wegen des Alters nur abgemahnt wurde. Mehr nicht. Der Richter wollte mir meine Zukunft nicht verbauen. Aber ich musste erneut das Internat wechseln. Mit einer kleinen Spende kauften meine Eltern die Tat frei und ich landete im Internat Nummer drei.

Aber hier war etwas anders. Die Lehrkräfte und Betreuer waren geschult für Schüler mit psychischen Erkrankungen. Bei mir wurden Angststörungen und eine Sozialphobie festgestellt. Das Internat hatte sogar Psychologen, die mit uns gearbeitet haben und an unsere Probleme rangingen. 

In den folgenden fünf Jahren hörte ich kein Wort von meinen Eltern und bekam nicht mal eine Karte zu den Feiertagen und meinem Geburtstag. Ich war also auf dem Abstellgleis gelandet, den sie gerne bezahlten. In den Medien bekam ich mit, wie sie mit einem kleinem Mädchen posierten, was sie adoptiert hatten. Und es sah glücklich aus. Mir kam es wie ein Dolch in den Rücken vor. Sie hatten mich einfach abgeschoben und zahlten nur, damit ich nicht mehr in ihrem Leben aufkreuze.

Ein Großteil der anderen Kinder und Jugendlichen wurde immer zu den Ferien abgeholt. Ich musste mit drei anderen Jugendlichen im Internat bleiben. Manche von den abgeholten Kindern kamen auf andere Privatschulen, weil sie geheilt waren von ihren Problemen. Ich weinte immer mit den anderen Jugendlichen, wenn wir sahen, wie Eltern glücklich ihre Kinder empfingen. Bis dahin habe ich mich kaum geöffnet, weil ich Vertrauen nie erlernt habe. 

Dann brach in den letzten Sommerferien alles aus mich raus. Wie ich damals gemobbt wurde. Zermürbt von der Abneigung meiner Eltern. Zu meinem Glück schalten dort die Ärzte immer das Jugendamt ein, wenn Jugendliche und Kinder nie abgeholt werden oder Kontakt zu Angehörigen haben.

Meine Eltern nannten mich vor Gericht eine Verrückte und Irre. Sowas sagen liebevolle Eltern nicht. Auf dem Internat sei ich unter meinesgleichen in deren Wortwahl. Ich weinte bitter und das Jugendamt bekam das Sorgerecht.


 Meine zuständige Betreuerin ist eine füllige Frau in den 50ern und sehr freundlich. Sie schaffte es, dass ich in einem Projekt des Amtes unterkomme, wo ich alleine mit Taschengeld leben muss. Natürlich muss ich immer noch zum Psychiater gehen einmal im Monat, um die Fortschritte zu beobachten. Denn in den Augen der Internatsleitung bin ich mittlerweile stabil und sie hat kein Verständnis für meine Eltern und deren Weltbild.

Dazu muss ich in eine normale Schule mit normalen Menschen gehen, die mich nicht kennen. Meine Sozialphobie ist gut therapiert und ich tue mich trotzdem schwer damit, Bekanntschaften zu machen. Hinter Schlabberkleidung verstecke ich meine schlanke Figur in der Regel, aber es war ein Ball und Anwesenheitspflicht für mein Jahrgang. Immerhin sind wir alle bald junge Erwachsene und haben die Schulzeit hinter uns. 

Natürlich wollte ich ein Kleid tragen, was meine Figur versteckt. Aber meine Betreuerin meinte, ich solle eines ihrer alten Kleider tragen, als sie schmal war. Vor den drei Kindern. 

Ich zog es an und es passte perfekt. Ihr fielen sofort die Augen beinahe raus, als sie sah, wie schön ich bin in Wirklichkeit. Aber ich fühlte mich unwohl und hässlich. Das war nicht ich. Eine schöne, junge Frau im Spiegel. 

Sie brauchte ewig, bis sie mich dazu brachte, dass ich dieses Ding auf dem Ball anziehe. Sie machte die Haare und Schminke und brachte mich zur Schule.

 

"Keine Angst, du siehst wunderschön aus", sagte sie aufmunternd im Auto auf dem Parkplatz der Schule.

"Aber ich bin doch sowas von hässlich. Keiner wird mich ansehen wollen", sagte ich beinahe weinend.

"Ach was. Vertrau deinem Umfeld und den Mitmenschen. Sie werden unerwartet reagieren", sagte sie nur und fuhr weg.

Jetzt konnte ich nicht mehr abhauen und mich zu Hause verstecken. 

Mit rasenden Herzen und extrem nervös ging ich zur Turnhalle und sah bereits einen freien Platz in einer dunklen Ecke. Hier würde mich keiner bemerken. 

Ich nahm ein Glas Cola und setzte mich da hin. Die Schüler tanzten als Paare zusammen und ich war wirklich unsichtbar. Glaubte ich zumindest. Aber dann kam ausgerechnet der Star der Schule auf mich zu und fragte sehr charmant:

"Willst du mit mir tanzen, Schönheit?"

Ich war sprachlos und lief rot an. Alle beobachteten uns beide in dem Moment. Wenn ich ihm einen Korb erteile, wird die Schule über mich reden und mich erst recht bemerken. All die Arbeit der Unsichtbarkeit wäre dann umsonst gewesen. 

Ich nahm seine Hand und ließ mich auf die Tanzfläche führen. Da ich noch nie auf einem Ball oder Fest war. Oder überhaupt Tanzen, trat ich ihm immer auf die Füße. Er lächelte die Schmerzen der hohen Absätze von mir weg und seine Hand rutschte immer mehr runter. Dabei wollte ich es nicht. Als seine Hand meinen Hintern streichelte, suchte ich sofort die Distanz und sagte:

"Tut mir leid für den furchtbaren Tanz."

Ich setzte mich wieder in die Ecke und nippte an meiner Cola. Aber etwas war danach komisch. Mir drehte sich alles und ich hatte das Gefühl, dass etwas drin war, was nicht reingehört. Ich ging auf wackeligen Beinen raus und fummelte an meinem Handy rum. Meine Betreuerin wartete darauf, dass ich sie anrufe, damit sie mich abholen kann. 

Aber alles war verschwommen und ich konnte nicht wirklich sehen, was ich überhaupt wählte. Zumindst kam die Antwort, dass es die Nummer nicht gibt. Jetzt wollte ich nur noch weg aus der Schule und bemerkte nicht, wie mir jemand folgte. 

Ich schaffte es zu einer Bank und die frische Luft ließ die Wirkung etwas abklingen von den Drogen. Mit zitternder Stimme rief ich meine Betreuerin an und bat sie zu kommen, nachdem ich mein Verdacht geäußert hatte. Sie wollte sofort kommen und ich sollte einen Platz suchen, wo ich sicher vor Angreifern sei. 

Dann packte mich jemand  und ich ließ die Handtasche vor Schreck fallen. Man zerrte mich in einem Busch. Ich konnte nicht schreien, während der Angreifer versuchte, mir das Kleid auszuziehen. Ich weinte nur und hatte Angst. Dann hörte ich eine bekannte Stimme hinter den Angreifer:

"Lass sie in Ruhe, du Schwein."

Der Kerl wurden gepackt und ausgerechnet mein Tanzpartner hatte mich gerettet. Ich machte mich wieder zurecht und rannte in die Arme meiner Betreuerin. Sie hatte sich Sorgen gemacht und traf zufällig den Schulstar draußen. 

Er verdrehte den Typen den Arm und warf ihm auf dem Hof auf dem Boden. Dann nahm zog er die Kapuze ab und darunter war der Sohn vom Direktor. Ihm hatte ich einige Male einen Korb erteilt. Aber dass er so weit geht hätte ich nie gedacht. 

Die Polizei nahm ihn mit und sein Vater versank vor lauter Scham im Boden. Ich machte mit meinem Retter eine Aussage auf dem Revier und wurde von einem Arzt untersucht sowie Blut abgenommen. Natürlich machte es die Runde in der Schule, was der Sohn des Direktors vorhatte. Aber ich war wohl nicht das einzige Opfer. Anscheinend hatte er bereits öfters die Nummer abgezogen und wurde von seinem Vater gedeckt. Andere Mädchen aus der Schule sagten auch gegen ihn aus, als sie sahen, dass der Direktor nicht nur die Polizei im Nacken hatte. Sondern auch die Schulbehörde. Sie prüfte die Ereignisse und kam zu einem Entschluss.

Der Direktor sollte anfangs versetzt werden, aber nachdem sich viele Mädchen als Opfer geoutet hatten, wurde dieser sofort in die Frührente geschickt und ein Verbot für den Job ausgesprochen. Natürlich litt dessen Ehe darunter und die Frau wandte sich vom Sohn und danach Ex-Mann ab. 

Mein Mitschüler bekam 35 Jahre Haft als Urteil für seine Taten. 

Aber ich vertraute endlich jemanden. Dem Retter. Wir wurden Freunde, aber er wollte ins Ausland gehen und studieren. Trotzdem halten wir Kontakt in Zukunft. 

Mein Apartment ist klein,


aber fein. 


Vor allem freute ich mich auf die erste Nacht im eigenen Bett. Ohne dass vorher jemand darin geschlafen hatte.


Nun versorge ich mich selbst und Geldprobleme habe ich nicht. Ich habe auf Anraten meine Eltern auf Schmerzensgeld verklagt und recht bekommen. Sie mussten mir eine hohe Summe zahlen für meinen seelischen Leid. Dazu war es in den Medien. Darunter leidet mindestens ihr Unternehmen und ihr Ruf. Aber mit denen habe ich nichts mehr am Hut. Ab sofort. 

 

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